Am Ende des Zweiten Teils seines
Faustdramas lässt Goethe die Titelfigur noch einmal in einer neuen Rolle
auftreten: er macht Faust zum literarischen Prototypen eines modernen
Tycoons: Reichtum aus Kriegsgeschäften, global tätiger Unternehmer mit
eigener Handelsflotte, bestens vernetzt mit der politischen Führung,
Aktivitäten in verschiedenen Geschäftsfeldern mit Renditen in astronomischer
Höhe, wenn auch nicht immer ganz astrein: Krieg, Handel und
Piraterie/dreieinig sind sie, nicht zu trennen. Wie sollte es anders
sein mit Mephisto als Geschäftsführer, der, wenn es hakt, Drei gewaltige
Gesellen schickt.
Faust ist zu Beginn des Fünften Akts mit der Fertigstellung eines
Großprojekts beschäftigt: auf einem Küstenstreifen sollen zahlreiche
Immobilien errichtet werden. Das Gebiet ist größtenteils bereits entwässert
und ein neuer Hafen geschaffen worden. Waren aus aller Welt kommen hier an.
Wo zuvor das Meer, schäumend wild, die Dünen umspült hat, zeigt sich
nun ein paradiesisch Bild blühender Gärten, Wies´ an Wiese, Anger,
Garten, Dorf und Wald.
Der letzte Bauabschnitt ist abgesteckt worden, das Projekt soll zügig zu
Ende geführt werden, doch an einer Stelle regt sich Widerstand: ein Ehepaar
weigert sich, sein Haus zu verlassen und das Grundstück herzugeben. Die
beiden alten Leute leben dort in ihrer Hütte mit einer kleinen Kapelle,
umgeben von einem Lindenhain, von Goethe als Altersidylle gezeichnet. Ihr
Verhältnis zueinander ist wie das zur Natur: organisch gewachsen, geprägt
von Liebe und Ehrfurcht, ein Symbol für Tradition und Harmonie. Goethe gibt
ihnen die Namen Philemon und Baucis, eine Anspielung auf das
gleichnamige Paar aus Ovids Metamorphosen, das für seine
Gastfreundschaft von den Göttern damit belohnt wurde, immer beieinander
bleiben zu dürfen, und zu diesem Zweck in Bäume verwandelt wurde.
Doch bei Goethe sind Philemon und Baucis nicht immer einer Meinung: er ist
altersbedingt ein wenig kraftlos, gutgläubig und vertraut in die politische
Autorität des Kaisers: Kluger Herren kühne Knechte/Gruben Gräben, dämmten
ein,/Schmälerten des Meeres Rechte,/Herrn an seiner Statt zu sein. Seine
Frau hingegen ist klug und skeptisch und hat, was das Immobilienprojekt
betrifft, so ihre Zweifel: Denn es ging das ganze Wesen/Nicht mit rechten
Dingen zu. Und auch der Tycoon ist Baucis nicht geheuer. Gottlos ist
er, ihn gelüstet/Unsre Hütte, unser Hain;/Wie er sich als Nachbar
brüstet,/Soll man untertänig sein.
Philemon wäre auf dessen Angebot, Haus und Grundstück gegen ein schönes
Gut im neuen Land zu tauschen – mit vielen Vorteilen wird man annehmen
dürfen – vermutlich sogar eingegangen, aber seine Frau ruft ihn zur Räson:
Traue nicht dem Wasserboden,/Halt auf deiner Höhe stand!
So kommt es denn auch. Das Ehepaar beharrt auf seinem Eigentumsrecht und
lehnt das Angebot ab. Faust schäumt vor Wut: Vor Augen ist mein Reich
unendlich,/Im Rücken neckt mich der Verdruß;/Erinnert mich durch neidische
Laute:/Mein Hochbesitz, er ist nicht rein,/Der Lindenraum, die braune
Baute;/Das morsche Kirchlein ist nicht mein. Und auch der zuständige
Mitarbeiter Mephisto muss sich einiges anhören: Die Alten droben sollten
weichen;/Die Linden wünscht´ ich mir zum Sitz,/Die wenig Bäume, nicht mein
eigen,/Verderben mir den Weltbesitz./Dort wollt´ ich, weit
umherzuschauen,/Von Ast zu Ast Gerüste bauen,/Dem Blick eröffnen
weite Bahn;/Zu sehn, was alles ich getan,/Zu überschaun mit einem Blick/Des
Menschengeistes Meisterstück,/Betätigend
mit klugem Sinn/Der Völker breiten Wohngewinn.
Faust präsentiert sich als ein von Anmaßung und Stolz erfüllter
Weltgestalter, der von der Richtigkeit seines Tuns zutiefst überzeugt ist
und Widerspruch als Majestätsbeleidigung empfindet. Daß sich das größte
Werk vollende,/Genügt ein Geist
für tausend Hände. Der Widerstand der beiden Alten, denen ihre kleine
Scholle wichtiger ist als das volkswirtschaftlich gigantische Bauprojekt,
lässt Faust verzweifeln. Das Widerstehn, der Eigensinn/Verkümmern
herrlichsten Gewinn,/Daß man, zu tiefer, grimmiger Pein,/Ermüden muß,
gerecht zu sein.
Und so wird der Auftrag an den Geschäftsführer energisch erneuert: So
geht und schafft sie mir zu Seite! ̶ Mephisto delegiert die Sache an
die Drei gewaltigen Gesellen, mit dem zu erwartenden Ausgang: Sie
hörten nicht, sie wollten nicht;/Wir aber haben nicht gesäumt,/Behende dir
sie weggeräumt./Das Paar hat sich nicht viel gequält,/Vor Schrecken fielen
sie entseelt. Haus, Kapelle und Lindenhain werden kurzerhand
abgefackelt, dem Berichterstatter, der das Geschehen für das Publikum
schildert, bleibt nur noch der traurige Kommentar: Was sich sonst dem
Blick empfohlen,/Mit Jahrhunderten ist hin.
Selbstverständlich distanziert sich der Tycoon sofort von den Machenschaften
seiner Mitarbeiter: Tausch wollt´ ich, wollte keinen Raub./Dem
unbesonnenen wilden Streich,/Ihm fluch´ ich; teilt es unter euch!
Aber Goethe lässt ihn nicht davon kommen, gibt Fausts Projektwahn am Ende
der Lächerlichkeit preis. Mit allen irdischen und einigen überirdischen
Mitteln ausgestattet, glaubt Faust sich gegen jedes Ungemach gefeit, nichts
kann ihn schrecken. Doch als sich sein Großprojekt der Vollendung nähert,
gewinnt etwas Macht über ihn, mit dem er nicht gerechnet hat und das er
nicht abschütteln kann: die Sorge. Er wehrt sich, will sie von sich weisen,
versucht, sie zu ignorieren, doch sie lässt ihn am Ende erblinden.
Fausts Eifer tut das keinen Abbruch. Die Nacht scheint tiefer tief
hereinzudringen,/ Allein im Innern leuchtet helles Licht;/Was ich gedacht,
ich eil´ es zu vollbringen. Fortan auf akustische Wahrnehmung reduziert
und dem Tode nah, missdeutet er jedes Geräusch als Fortschrittsklang: Wie
das Geklirr der Spaten mich ergetzt!/Es ist die Menge, die mir frönet.
Auch scheint sein Gewissen vom Tod der Alten nicht belastet, denn schon
ergeht der nächste zwielichtige Auftrag an Mephisto: Wie es auch möglich
sei,/Arbeiter schaffe Meng´ auf Menge,/Ermuntere durch Genuß und
Strenge,/Bezahle, locke, presse bei!
Und selbstverständlich lässt er sich informieren, ob die Umsetzung der
Planung entspricht: Mit jedem Tage will ich Nachricht haben,/ Wie sich
verlängt der unternommene Graben.
Mephisto macht sich dann nicht einmal mehr die Mühe zu flüstern, sondern
sagt halblaut: Man spricht, wie man mir Nachricht gab,/Von keinem
Graben, doch vom Grab.
Der Tycoon stirbt aber nicht, ohne seine große Vision vom Leben hinter dem
Deich noch einmal zusammengefasst zu haben: Eröffn´ ich Räume vielen
Millionen,/ Nicht sicher zwar, doch tätig-frei zu wohnen./ Grün das Gefilde,
fruchtbar; Mensch und Herde/ Sogleich behaglich auf der neuesten Erde,/
Gleich angesiedelt an des Hügels Kraft,/ Den aufgewälzt kühn-emsige
Völkerschaft./ Im Innern hier ein paradiesisch Land,/ Da rase draußen Flut
bis auf zum Rand,/ Und wie sie nascht, gewaltsam einzuschießen,/ Gemeindrang
eilt, die Lücke zu verschließen. […]
Solch ein Gewimmel möcht´ ich sehn,/ Auf freiem Grund mit freiem Volke
stehn.
Wie die Geschichte an der Küste weitergeht, lässt Goethe offen. Und Faust
kommt am Ende in den Himmel. |
|
Wer in den USA
Präsidentschaftskandidat werden möchte, muss zuvor sein Vermögen offenlegen.
Donald Trump hat seines mit zehn Milliarden Dollar angegeben, und selbst
wenn das Forbes Magazine das für eine Übertreibung hält und von "nur"
gut vier Milliarden ausgeht, ist das unvorstellbar viel. Trump, der
Inbegriff eines Tycoons, führt einen multinationalen Konzern mit über 20.000
Mitarbeitern. Den größten Umsatz erzielt er mit Luxusimmobilien, für deren
Bau gelegentlich auch Leute mit Namen wie Anthony "Fat Tony" Salerno oder
Paul "Big Paul" Castellano hilfreich gewesen sein sollen.
Seit etwa zehn Jahren ist Trump in Schottland, dem Geburtsland seiner
Mutter, mit einem Großprojekt beschäftigt: in der Nähe von Aberdeen,
unmittelbar an der Nordseeküste will er eine Anlage mit zwei Golfplätzen,
einem Luxushotel und mehreren hundert Häusern errichten. Der erste Platz
wurde 2012 eröffnet, und Kenner schwärmen vom Meerblick und den Spielbahnen,
die traumhaft schön um die Dünen mäandern.
Allerdings ist damit nur ein Bruchteil der Planung realisiert, und das liegt
daran, dass es seit Beginn des Vorhabens Widerstand gibt. Die urwüchsige
Dünenlandschaft ist ein empfindlicher dynamischer Naturraum, den Trump für
sein Projekt fixieren und in eine Kunstlandschaft verwandeln muss. Die
lokalen Behörden lehnen das Vorhaben daher zunächst ab, doch der Tycoon
lässt bei der schottischen Regierung die Muskeln spielen und darf
schließlich bauen. Ein größeres Problem als die Politik sind für ihn die
Anlieger, allen voran der Fischer und Landwirt Michael Forbes und sein
Nachbar David Milne. Forbes lebt seit über vierzig Jahren hinter den Dünen,
und er weigert sich hartnäckig, sein Haus aufzugeben und sein Land zu
verkaufen. "No Golf Course" steht in großen Buchstaben an seiner Scheune.
Als Trump 2006 mit dem Projekt beginnt, gibt es zunächst noch Zuspruch:
ortsansässige Unternehmer bejubeln den vom Tycoon angekündigten
Wachstumsimpuls, der damalige First Minister Lord McConnell erklärt ihn zu
einem Botschafter der schottischen Wirtschaft, eine Hochschule in Aberdeen
verleiht ihm die Ehrendoktorwürde. Den Fischer Michael Forbes überzeugt das
alles nicht. Auch nicht die Offerten Trumps, die ihn nach und nach
erreichen. Die Summen, die ihm für den Verkauf seines Grundstücks in
Aussicht gestellt werden, übersteigen den ortsüblichen Wert bei weitem. Das
Geld lehnt er ebenso ab wie eine Anstellung im Golfressort mit einem –
vermutlich leicht verdienten – Jahresgehalt von 50.000 Pfund. Je höher die
Angebote des Tycoons werden, desto größer wird der Widerstand, den Forbes
und eine wachsende Schar von Mitstreitern ihm entgegen setzen.
Forbes verkauft nicht. Und einige andere auch nicht. Sie wollen ihren
natürlichen Lebensraum vor den Plänen des unbeliebten Nachbarn schützen.
Trump schäumt vor Wut und beschimpft Forbes als dreckig, schlampig und
ungepflegt. Und über dessen Hof sagt er, er sei in einem
schrecklichen Zustand, er gleicht einem Slum, es ist ekelerregend, überall
liegt Kram herum. Er lebt wie ein Schwein. Der Tycoon sieht sich als
Opfer einiger Aktivisten, die den Nutzen eines, aus seiner Sicht
volkswirtschaftlich genialen und ökologisch perfekten Investments verkennen.
Wenn wir für dreihundert oder vierhundert Millionen Dollar ein Hotel
bauen, will niemand Fenster, die zu einem Slum hinausgehen. Für Trump
ein unerträglicher Zustand: Ich will die Häuser nicht sehen. Und niemand
hat ein Problem damit, außer vielleicht die Menschen, die in den Häusern
leben. Doch die sind ihm egal.
Trump präsentiert sich als ein von Anmaßung und Stolz erfüllter
Weltgestalter, der von der Richtigkeit seines Tuns zutiefst überzeugt ist
und Widerspruch als Majestätsbeleidigung empfindet. Ich baue, für das
schottische Volk, den großartigsten Golfplatz der Welt. Und das
schottische Volk glaubt er hinter sich. Angesprochen auf den Widerstand
gegen sein Großprojekt, entgegnet er: Eine Zeitung hat getitelt 'Trump
trifft auf Demonstranten'. – Zwei Leute und ein Hund. Ich hatte nur
vor dem Hund Angst. Doch es ist ihm anzusehen, wie zornig ihn diese
Leute machen.
Und dem rauen Ton lässt der Tycoon nun Taten folgen. Einer Mitarbeiterin
ruft er vor laufender Kamera zu: Sarah, ich will diese Häuser loswerden!
Und auf den Einwand, dies sei ohne Tumult nicht zu machen, entgegnet er:
Wen kümmert es. Trump schickt Anwälte, die mit Enteignung drohen und
uralte Grenzverläufe anfechten, Bauarbeiter, die Zufahrten blockieren,
Wasser- und Stromleitungen kappen, Zäune niederreißen und um die Häuser
enorme Erdhügel aufschütten und den Meerblick verbauen. Die Anwohner müssen
mit ansehen, wie sich die Dünenlandschaft vor ihrer Haustür in eine riesige
Baustelle verwandelt.
Von einer Schädigung der Umwelt will Trump nichts wissen, im Gegenteil, er
sieht sich als Bewahrer: Also, ich fixiere die Dünen und das bedeutet,
die Dünen werden für immer da sein, und das ist gut.
Wie abgehoben der Tycoon in seinem Projektwahn ist, zeigt sich, wenn er, auf
die ihn umgebende Küstenlandschaft deutend ausruft: Es ist schön. Aber
ich werde es noch schöner machen. Die Häuser und Grundstücke von Forbes
und seiner Nachbarn brauche er dafür gar nicht, prahlt er in der Talkshow
von David Letterman. Er hat einen größeren Gegner ausgemacht: die
schottische Regierung. Die hat die Genehmigung für einen Offshore-Windpark
erteilt, in Sichtweite von Trumps Großprojekt. Das bringt den Bauherrn zum
Kochen.
Mit allen juristischen und publizistischen Mitteln versucht Trump, den
Windpark zu verhindern. Was ich sehen will, ist das Meer. Was ich nicht
sehen will, sind Windräder, klagt er. Der Supreme Court in London
bestätigt am Ende die Entscheidung der schottischen Regierung, und Trump
wütet: Diejenigen, die hier gegen uns waren, werden sich vor der
Geschichte verantworten müssen, und dieser Ausgang zeigt die dumme,
kleingeistige und provinzielle Haltung, mit der die gegenwärtige schottische
Regierung auf gefährliche Weise mit der Windenergie herumexperimentiert.
Er werde den Kampf fortsetzen.
Selbst der Präsidentschaftswahlkampf hält Trump nicht davon ab, im Juni für
drei Tage Schottland zu besuchen und sich vor Ort ein Bild zu machen.
Doch die Schotten wollen ihn nicht mehr. Nach Ausfällen gegen Migranten und
Muslime wird ihm der Titel des Wirtschaftsbotschafters ebenso aberkannt wie
die Ehrendoktorwürde.
An seinem Großprojekt hält er unerschütterlich fest, und über die
fertiggestellten Bauabschnitte stellt er selbst fest: Ich habe etwas
geschaffen, das ist umwerfend. Und die Mehrheit sehe das auch so: Die
Menschen lieben das, was wir tun, sie lieben die Tatsache, dass ich hunderte
von Millionen Pfund investiere, sie lieben die Tatsache, dass ich eine Menge
Arbeitsplätze schaffe. Das britische Parlament hat unterdessen über eine
von mehr als einer halben Million Menschen unterzeichnete Petition
debattiert, Trump die Einreise nach Großbritannien zukünftig zu verweigern.
Wie die Geschichte an der Küste weitergeht, ist offen. Und Trump wird am
Ende vielleicht Präsident der USA.
|